Island wählt neue Präsidentin: Halla Tómasdóttir gewinnt Präsidentschaftswahl 2024

Ein Wahlsieg mit schmaler Mehrheit – und großer Signalwirkung

34,15 Prozent reichen für das höchste Amt des Landes. In Island ist das möglich, wenn gleich ein Dutzend Namen auf dem Stimmzettel steht. Am 1. Juni 2024 gewann Halla Tómasdóttir die Präsidentschaftswahl – mit 73.184 Stimmen von insgesamt 214.320 gültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 80,84 Prozent: 215.635 Stimmzettel wurden abgegeben, 266.741 Bürgerinnen und Bürger waren registriert. Es war ein breites Feld, das den Stimmenanteil aufteilte – und zugleich eine Abstimmung mit klarer Richtung.

Die frühere Premierministerin Katrín Jakobsdóttir landete mit 25,19 Prozent (53.980 Stimmen) auf Platz zwei. Dahinter folgte Halla Hrund Logadóttir mit 15,68 Prozent (33.601 Stimmen). Der Komiker und frühere Bürgermeister von Reykjavík, Jón Gnarr, kam auf 10,09 Prozent (21.634 Stimmen). Ebenfalls im Rennen: Baldur Þórhallsson mit 8,41 Prozent und Arnar Þór Jónsson mit 5,08 Prozent. Mehrere weitere Kandidatinnen und Kandidaten sammelten kleinere Anteile. Für Island untypisch ist das nicht: Präsidentschaftswahlen sind direkt und ohne Stichwahl – wer die meisten Stimmen holt, gewinnt.

Bemerkenswert: Tómasdóttirs Stimmenanteil gehört historisch zu den niedrigsten für eine erstmals ins Amt gewählte Präsidentin oder einen Präsidenten in Island. Das hat viel mit der Zersplitterung des Kandidatenfelds zu tun. Zugleich zeigt es, wie offen das Rennen war. Für Tómasdóttir war es die zweite Bewerbung: 2016 war sie bereits angetreten und damals Zweite geworden. Acht Jahre später reichte der lange Atem.

Am 1. August 2024 übernahm sie das Amt – als siebte Präsidentin beziehungsweise siebter Präsident seit Ausrufung der Republik 1944. Bei Amtsantritt war sie 56 Jahre alt (Jahrgang 1968). Gratulationen kamen schnell, auch von der Zweitplatzierten Jakobsdóttir. Die Übergabe verlief ruhig, so wie es die Isländerinnen und Isländer von ihrer politischen Kultur gewohnt sind.

Wer ist die neue Präsidentin? Tómasdóttir kommt aus der Wirtschaft, ist als Managerin und Investorin bekannt und hat sich über Jahre mit Themen wie verantwortungsvollem Unternehmertum, Gleichstellung und guter Unternehmensführung profiliert. Diese Mischung – wirtschaftliche Kompetenz, Werteorientierung, politisch unabhängig – trug auch ihren Wahlkampf. Das Präsidentenamt in Island ist formal überparteilich; genau dafür steht ihr Profil.

Was das Amt kann – und wie die Wahl die Politik sortiert

Der isländische Präsident ist Staatsoberhaupt, nicht Regierungschef. Gewählt wird direkt durch das Volk, die Amtszeit beträgt vier Jahre, eine Begrenzung der Amtsperioden gibt es nicht. Das Amt ist in der Praxis moderierend und repräsentativ – mit wenigen, aber gewichtigen Hebeln. Der Präsident ernennt die Regierung, unterschreibt Gesetze und kann die Unterzeichnung verweigern. Dann geht ein Gesetz in der Regel an die Wählerinnen und Wähler zur Volksabstimmung. Dieses Recht wird selten genutzt, ist aber eine starke Reservebefugnis und verschafft dem Präsidenten moralisches Gewicht in Krisen.

Politik macht in Island die Regierung. Genau hier kommt die zweite Ebene dieses Wahljahres 2024 ins Spiel. Nach der Präsidentschaftswahl folgten im November Parlamentswahlen. Die Zusammenarbeit veränderte sich: Tómasdóttir arbeitete zunächst mit Premierminister Bjarni Benediktsson zusammen und später mit Kristrún Frostadóttir, die nach der Parlamentswahl die Regierung übernahm. Für das Staatsoberhaupt bedeutet das: moderieren, Brücken bauen, das Land nach außen vertreten – und innen Ruhe halten, wenn die Regierungsmehrheit wechselt.

Die Präsidentschaftswahl wirkte zudem in den neuen Alþingi hinein. Aus dem Bewerberfeld schafften es der frühere Bürgermeister Jón Gnarr und Halla Hrund Logadóttir ins Parlament und sitzen heute als Abgeordnete im Alþingi. Arnar Þór Jónsson kandidierte ebenfalls, verpasste aber den Einzug. Das zeigt, wie stark die nationale Bühne der Präsidentschaftswahl in Island wirkt: Sie ist nicht nur ein Wettbewerb um das Amt des Staatsoberhaupts, sondern auch ein Katalysator für politische Karrieren.

Warum reichten 34,15 Prozent? Weil Island keine Stichwahl kennt. Das System belohnt breite Ansprachen in die Mitte – und akzeptiert knappe Vorsprünge, wenn viele antreten. Für die neue Präsidentin ist das ein Doppelauftrag: Sie muss jene überzeugen, die sie gewählt haben, und gleichzeitig jene mitnehmen, die sich für andere entschieden. In Island funktioniert das oft über Gesten der Einheit und eine klare Trennung vom Tagesgeschäft der Regierung.

Historisch steht Tómasdóttir in einer Reihe prägender Persönlichkeiten. Island hatte mit Vigdís Finnbogadóttir schon früh eine Frau an der Staatsspitze – sie wurde 1980 als erste Frau weltweit durch freie Wahl Präsidentin. Auch ihr Nachfolger Ólafur Ragnar Grímsson prägte das Amt, nicht zuletzt durch die Nutzung des Vetorechts in Krisenzeiten. Der scheidende Präsident Guðni Th. Jóhannesson, seit 2016 im Amt, setzte wiederum auf Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern und zwei volle Amtszeiten. Tómasdóttir übernimmt also ein Amt mit Tradition – und mit viel Vertrauen in die vermittelnde Rolle des Staatsoberhaupts.

Die Zahlen des Wahlabends erzählen derweil eine klare Geschichte: hohe Beteiligung, breites Kandidatenfeld, knapper Sieg. 215.635 abgegebene Stimmen bei 266.741 Registrierten – das ist für europäische Verhältnisse ein starker Wert. Island bleibt damit seiner Beteiligungskultur treu. In kleineren Demokratien hat die Präsidentschaft oft eine soziale Funktion: Das Amt ist Ansprechpartner, Mahner, Gastgeber. Genau dieses Erwartungsbild prägte die Debatte im Wahljahr – weniger große Versprechen, mehr Stilfragen und die Haltung zu Regierung, Verfassung und internationaler Rolle.

Spannend ist der Blick auf die Arbeitsweise der neuen Präsidentin. Das Staatsoberhaupt greift nicht täglich ins Regierungsprogramm ein. Wirkung entsteht über Reden, Gespräche, die Macht der Unterschrift – und die Option, Gesetze einer Volksabstimmung zu überlassen. Damit kann der Präsident Leitplanken setzen, ohne das Parlament zu ersetzen. In Zeiten wechselnder Koalitionen ist das ein Stabilitätsanker. Dass Tómasdóttir in der Wirtschaft groß geworden ist, kann helfen: Prozesse strukturieren, Konflikte moderieren, Ziele erklären – das braucht dieses Amt.

Was heißt das für die nächsten Jahre? Die Präsidentin wird außenpolitisch sichtbar sein, etwa bei Staatsbesuchen und internationalen Treffen. Innenpolitisch geht es um Vertrauen, um das Verhältnis zu Regierung und Opposition und um die Pflege der demokratischen Kultur. Genau dort wird sich zeigen, ob der Wahlsieg mit 34,15 Prozent als Start einer breiten Präsidentschaft taugt – oder ob die Zerfaserung des Wählerfelds zum Dauerauftrag für Ausgleich wird. Island setzt jedenfalls auf Kontinuität im Stil und Offenheit im Dialog. Die Wahl 2024 hat beides bestätigt.